Reisen & Recherchen
Für einen Schriftsteller ist die Suche nach neuen Schauplätzen ebenso wichtig wie die nach neuen Romanideen. Oft hat man eine Idee und schiebt sie aber hinaus, weil man die Gegend, in der sie spielen soll, nicht gut genug kennt. Manchmal aber unternimmt man auch eine Reise, um zu prüfen, ob sich ein Landstrich für einen Roman empfiehlt. So war es diesmal. Zwar kannten wir Skandinavien bereits von mehreren Reisen her, hatten aber bis jetzt nie daran gedacht, einen historischen Roman zu schreiben, der dort spielen soll. Da uns aber für spätere Romane an neuen Schauplätzen gelegen ist, fassten wir nun auch den Norden ins Auge.
Die leichteste Möglichkeit, einen umfassenden Überblick über die Küste und die Inseln im Nordatlantik zu bekommen, ist eine Seefahrt in diese Gegend. Daher brachen wir mit schwerem Gepäck und etlichen Büchern nach Hamburg auf, um dort an Bord zu gehen. Die ersten Stationen unserer Reise waren im Grunde Wiederholungen, denn viele Stellen in Norwegen kannten wir bereits.
Wir sahen uns trotzdem aufmerksam um. Vor allem interessierten wir uns für das Wetter. So konnte es an einem Tag sommerlich heiß sein, während am nächsten eine dicke Nebelsuppe über dem Land, bzw. dem Meer hing und die Temperaturen sich in bescheidenen Grenzen hielten. So waren die sechs Grad im Hochsommer auf Spitzbergen nicht gerade ein Wetter, das zum T-Shirt-Tragen einlud.
Während der Reise versetzten wir uns immer wieder in die Situation alter Seefahrer, seien es Wikinger mit ihren Langschiffen, Hansekaufleute mit ihren Koggen oder Fischer mit ihren Loggern. Vor der Erfindung moderner Navigationsmethoden muss es oft schwer gewesen sein, seinen Weg zu finden. Die Verluste an Schiffen und Menschen waren entsprechend hoch, und doch sind die Leute immer wieder in See gestochen.
Das erste Neuland auf dieser Reise war für uns Island. Nun ermöglicht ein Aufenthalt von einem knappen Tag pro Hafen nicht gerade eine umfassende Erkundung des Landes. Zum Reinschnuppern reichte es jedoch und so hielten wir im Norden und im Westen der Insel die Augen offen und die Kamera bereit. Die Landschaft war faszinierend, von den Pseudokratern am Mývatnsee angefangen bis zu den brodelnden Schlammlöchern von Namaskard.
Unser dritter Hafen auf Island war Reykjavik. Hier lag auch eines der Hauptziele unserer Reise, nämlich das Nationalmuseum von Island. Wir besuchten es auf eigene Faust, um nicht durch das Drängen irgendwelcher Reiseführer behindert zu werden. Der Besuch lohnte sich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen bot uns das Museum einen guten Einblick in die Entwicklung Islands von der Zeit der Landnahme bis hin zur Moderne, und zum anderen war das Wetter trüb und es nieselte. Daher hätte kein geführter Ausflug auch nur in Ansätzen das gebracht, was wir uns gewünscht hätten.
Als unser Schiff Reykjavik wieder verließ, waren unsere Gedanken derart von all den Dingen erfüllt, die wir im Museum gesehen und erfahren hatten, dass wir am liebsten an Ort und Stelle geblieben wären, um tiefer schürfen zu können. Uns standen jedoch noch zwei Inselgruppen bevor, die wir unbedingt sehen mussten. Als Erstes kamen wir zu den Färöer-Inseln, die zur dänischen Krone gehören, aber autonom sind. Auf ihrem Weg von Norwegen nach Island hatten die Wikinger hier Halt gemacht. Später landeten hier die Fangschiffe der Fischerflotten an, die bereits im Mittelalter von unterschiedlichsten Häfen aus aufgebrochen sind. Der Besuch der Inseln war interessant und brachte uns die Landschaft, die frühere Bauweise und die Vegetation näher.
Als letzten Punkt lief unser Schiff die Orkney-Inseln an. Obwohl diese ebenfalls lange von Skandinavien aus geprägt wurden, merkt man heute den starken englischen und schottischen Einfluss. Die Landschaft ist lieblicher und das Klima milder als auf den Färöern und Island und bildete daher einen angenehmen Ausklang unserer Reise.
Wieder in Hamburg angekommen, folgte die Bahnfahrt nach Hause. Wir hatten vieles gesehen und erlebt und bleibende Eindrücke gewonnen. Eines aber war uns von Anfang an klar: Wenn wir einen Roman schreiben wollen, der im Norden spielt, müssen wir noch zwei bis drei gezielte Recherchereisen auf eigene Faust unternehmen, um alles in Ruhe ansehen und vor Ort nach genaueren Informationen suchen zu können.
Iny und Elmar Lorentz