Reisen & Recherchen
Immer wieder liegen Zeitungen und Zeitschriften Werbeprospekte von Reiseunternehmen bei. Meistens wirft man einen kurzen Blick drauf und legt sie dann zum Altpapier. Im letzten Herbst aber flatterte ein Prospekt ins Haus, der uns zum Nachdenken brachte, denn er betraf Zypern. Zwar ist diese Insel nicht die Gegend, in der einer unserer nächsten Romane spielen soll, aber wir hatten bereits überlegt, sie einmal zu einem Nebenschauplatz zu machen. Als dann auch noch unsere Freundin und Lektorin Ingeborg meinte, dass sie gerne dorthin fahren würde, buchten wir diese Reise.
In solchen Prospekten wird viel versprochen, aber so geschickt, dass einem die eigene Fantasie mehr vorgaukelt, als schliesslich eintritt. Als wir diese Reise antraten, zeigte es sich rasch, weshalb wir im Allgemeinen den Wohnwagen und die Freiheit, die dieser uns bietet, Hotelaufenthalten vorziehen. Dieser schien von Anfang an unter einem schlechten Stern zu stehen.
Obwohl die Maschine aus Larnaka überpünktlich in München ankam, wurde sie erst mit großer Verspätung wieder in die Luft gelassen. Das war doppelt ärgerlich, weil sie ein Dreieck ausflog und erst über Frankfurt/Main nach Larnaka zurückkehrte. Die Verspätung von München war nicht mehr einzuholen und wir erreichten unseren Zielflughafen erst zu nächtlicher Stunde. Von dort hatten wir noch einen Bustransfer von anderthalb Stunden vor uns.
Als Erstes erfuhren wir, dass wir nicht in dem Hotel untergebracht würden, mit dem im Prospekt geworben worden war. Im Gegensatz zu einigen anderen Reisenden hatten wir den kleingedruckten Zusatz "oder gleichwertig" auf den Buchungsunterlagen gelesen und waren nicht überrascht. Als Nächstes mussten wir ebenso wie die anderen, die Voll- oder Halbpension gebucht hatten, wegen der späten Ankunftszeit auf das Abendessen verzichten. Wir erhielten stattdessen dafür einen Gutschein für ein Mittagessen. Jene, die Vollpension hatten, bekamen den Rat, diesen Gutschein für ein Lunchpaket am Abreisetag zu verwenden, da der Bustransfer um 05:00 Uhr Ortszeit durchgeführt werden würde.
Der nächste Morgen sah daher etliche hungrige Leute, die sich auf das Frühstücksbüffet stürzten. Dieses sah auf den ersten Blick reichhaltig aus, aber viele Platten waren bereits leer, andere dagegen fast unberührt. Wir merkten rasch, dass man genau achtgeben sollte, was man sich auf den Teller lud. Nur wenig hielt nämlich das, was es auf den ersten Blick versprach.
Wir ließen uns die Laune durch das Frühstück nicht verdrießen, sondern machten uns auf die erste Erkundungstour nach Paphos. Die Fahrt war sehr interessant und wir kehrten voller Eindrücke ins Hotel zurück. Dort wollten wir den Tag beim Abendessen noch einmal Revue passieren lassen und unsere Pläne für den nächsten Tag besprechen. Als wir in Richtung Speisesaal aufbrachen, wunderten wir uns über die lange Schlange vor der Tür und stellten fest, dass die Gäste in langen Abständen nur einzeln oder maximal mit ihrer Familie in den Saal gelassen wurden. Wartezeiten von mehr als einer halben Stunde waren in den nächsten Tagen eher die Regel als die Ausnahme, und wenn man glücklich die Tür durchschritten und einen Tisch zugewiesen bekommen hatte, musste man den Teller festhalten, da das Personal jede Pause beim Kauen benützte, um sofort abzuräumen. Die Gäste sollten ihren Platz wohl schnell wieder für die Wartenden freimachen.
An eine gemütliche Unterhaltung war unter diesen Umständen nicht zu denken. Auch wir gaben nach kurzer Zeit auf und zogen uns in die Bar zurück. Ingeborg wollte einen Irish Coffee haben und sah fassungslos zu, wie der Barkeeper erst einmal die Getränkekarte studierte, dann eine der kleinen Kaffeetassen nahm, diese mit Kaffee aus dem Automaten füllte und einen Schuss Whisky hinzugab. Danach starrte der Mann verwundert auf die Tasse, weil kein Platz mehr für die auf der Getränkekarte angegebene Sahne blieb, brachte das Getränk aber so, wie es war, an unseren Tisch. Einen solchen Irish Coffee hatte Ingeborg bis dato noch nicht erhalten. Sie sah uns verdattert an und meinte: "Ja, sind wir denn hier Laborratten, mit denen die hier ihr frisch eingestelltes Personal anlernen?"
Ähnliche Sprüche kamen ihr, aber auch uns in den folgenden Tagen öfter über die Lippen. Der Service im Hotel war zum Weinen und die Plätze im Restaurant und im Frühstücksraum des Hotels einfach zu wenig für die anwesenden Gäste. Da das Frühstücksbüffet nur selten und unzureichend aufgefüllt wurde, bekamen diejenigen, die später frühstücken wollten, nur die Reste und damit auch das, was die früher gekommenen aus guten Gründen verschmäht hatten.
Wir waren stets froh, wenn wir das Hotel verlassen und entweder in einen Bus oder in ein Taxi steigen konnten, um unsere Tagestouren zu unternehmen. Dabei lernten wir Zypern von seiner besseren Seite kennen. Wir suchten alte Kirchen, Klöster und Festungen auf, fuhren durch die Landschaft, um diese auf uns wirken zu lassen, und aßen in verschiedensten Restaurants zu Mittag und – trotz Halbpension – bald auch zu Abend. Es hat jedes Mal ausgezeichnet geschmeckt, die Kellnerinnen und Ober waren freundlich und wir hatten genug Zeit für unsere Resümees und Planungen. Jene Romanidee, die uns bereits seit einigen Jahren im Kopf herum ging, nahm immer mehr Gestalt an und Elmar durfte abends im Zimmer Block und Stift zur Hand nehmen, um alles aufzuschreiben.
Nach dem Erlebnis am ersten Abend mieden wir auch die Hotelbar. Ihren geliebten Irish Coffee erhielt Ingeborg trotzdem noch mehrmals, aber eben nicht im Hotel. Wenn wir nach einem guten Abendessen dorthin zurückkehrten und die Schlange vor dem Speisesaal sahen, waren wir froh, dass wir uns ausserhalb ernähren konnten. Anderen war dies nicht möglich, denn sie hatten sich durch die von der Reiseleitung erteilte Information, jetzt im Winter wären die meisten Restaurants in der Umgebung geschlossen und die Ergänzung ihrer gebuchten Reise durch Vollpension oder 'all inclusive' wäre daher ratsam, die Versorgung im Hotel gebucht. Da wir die meiste Zeit unterwegs sein wollten, waren wir nicht auf dieses Angebot eingegangen. Nur beim Frühstück sahen wir uns gezwungen, nach irgendetwas Geniessbarem zu suchen.
Für uns war es wichtig, Informationen zu sammeln, ausgesuchte Orte anzusehen und dabei auch ein wenig Frühlingssonne zu tanken. Essen konnten wir zur Genüge in den angeblich geschlossenen Restaurants, die städtischen Busse und die Überlandbusse fuhren keine fünfhundert Meter von unserem Hotel ab und so wurde dieser Teil der Reise für uns ein voller Erfolg.
Den letzten Tag konnten wir schliesslich in aller Ruhe verbringen und uns noch einmal in Paphos umsehen. Nach einem ausgezeichneten Abendessen kehrten wir ins Hotel zurück und begannen unsere Koffer zu packen. Als nach einer viel zu kurzen Nacht der Wecker schellte, machten wir uns mit einem zwiespältigen Gefühl reisefertig. Zum einen waren wir froh, das Hotel verlassen zu können, bedauerten aber gleichzeitig, dass wir nicht länger auf der Insel bleiben konnten.
Beim Auschecken aus dem Hotel fragte eine Dame nach dem versprochenen Lunchpaket und erhielt die freundliche Antwort, sobald das Küchenpersonal um sieben Uhr die Arbeit aufnehmen würde, würde es uns zusammengestellt. Auf den empörten Ruf etlicher Gäste hin, dass der Bus ja bereits um fünf Uhr losfahren würde, versprach ein Angestellter des Reiseunternehmens, das uns nach Zypern gebracht hatte, am Flughafen in Larnaka würde ein Kollege auf uns warten, beim Einchecken helfen und uns vor allem ein Frühstück besorgen.
Unser Glaube daran war gering und unser Gefühl trog nicht, denn am Flughafen angekommen, war weit und breit kein "Kollege" zu sehen. Während die übrigen Mitreisenden sich mit verärgerten Mienen in die schier endlose Schlange einreihten, die auf die Abfertigung warteten, wurde Iny wegen ihrer Gehbehinderung von einer Aufsichtsbeamtin zu einem freien Schalter geschickt. Wir nahmen die Chance wahr, checkten ein und saßen kurz darauf in einem Cafe des Flughafens vor je einem Latte macchiato und einen Sandwich.
Die Maschine nach München stand pünktlich bereit und hob ohne Verspätung ab. Wir erreichten unser Ziel noch vor der angegebenen Zeit und sahen uns statt mit angenehmen zwanzig Grad wie auf Zypern mit zweieinhalb Grad konfrontiert. Zu Hause warteten dann über einhundert Mails auf uns. Selbst die Beantwortung der Wichtigsten wird etwas dauern.
Auf jeden Fall freuen wir uns, die nächste Reise wieder mit unserem Dicken und angehängtem Wohnwagen antreten zu können. Zypern wird uns trotzdem durch seine freundlichen Menschen, seine Landschaft und seine guten Restaurants in Erinnerung bleiben.
Iny und Elmar Lorentz